#2 - Was bewirkt nachhaltig Investieren eigentlich?

09.07.2021

Mit nachhaltig Investieren gleichzeitig Vermögen aufbauen und Gutes tun? Welche tatsächliche positive Wirkung auf die Welt nachhaltige Investments an der Börse haben können, darum geht es heute. 

Um diese Frage zu beantworten müssen wir uns zunächst mal anschauen, was beim Investieren eigentlich passiert: Ein Unternehmen benötigt Geld für die Herstellung seiner Produkte und Dienstleistungen, die es dann an einen Konsumenten mit Gewinn verkaufen kann. Woher nimmt das Unternehmen jetzt das Geld? Dazu gibt es zwei Wege wie sich ein Unternehmen finanziert:

  1. Es leiht sich Geld von Gläubigern (z.B. der Bank) und verspricht, dieses wieder zurückzuzahlen, sobald es sein damit hergestelltes Produkt mit Gewinn verkauft hat. Hier spricht man von Fremdkapital.
  2. Es nutzt das eigene Geld (Eigenkapital) - also das Geld der Eigentümer:innen des Unternehmens. Nun hat der/die Gründer:in und ursprüngliche Eigentümer:in des Unternehmens aber begrenzt viel Geld. Da kam man schnell auf die Idee, dass ja das Unternehmen selbst einen Wert hat mit all den erwarteten Gewinnen in der Zukunft, und dass man als Gründer genau diesen Wert - und damit verbunden das Anrecht auf die zukünftig erwarteten Gewinne - verkaufen und damit das für den Geschäftsbetrieb dringend benötigte Geld bekommen kann. Die Aktie war geboren.

Wichtig: noch nicht der Aktienhandel! Die Idee, dass man als Besitzer:in einer Aktie dieses Anrecht auf die zukünftigen Gewinne eines Unternehmens wieder weiterverkaufen kann - kam später. Dieser Handel findet auf der Börse statt, welche ein Sekundärkapitalmarkt ist, da aus zweiter Hand gekauft wird.

Wenn wir jetzt eine nachhaltige Wirtschaft fördern wollen, wollen wir also nachhaltige Unternehmen mit Kapital versorgen (erstmal ganz egal ob Fremd- oder Eigenkapital) damit diese gefördert werden, in dem was sie tun. Nicht nachhaltige Unternehmen wollen wir vom Kapitalzugang abschneiden. 

Was wird meistens als nachhaltig investieren verkauft? Nachhaltige Aktien an der Börse kaufen. Oder noch einfacher: einen bereits zusammengestellten Korb aus verschiedenen Aktien kaufen, um das Risiko zu streuen: Aktienfonds und ETF (Exchange Traded Funds). 

Jetzt stand vorhin ja der Aktienhandel vorhin aber gar nicht bei den zwei Wegen mit dabei, Unternehmen mit Kapital zu versorgen... Wie schon angeschnitten, kauft man an der Börse Aktien aus zweiter Hand. Primärinvestor:innen verkaufen ihre Aktien weiter, Sekundärinvestor:innen kaufen sie den Primärinvestor:innen ab (und Tertiärinvestor:innen und ewig so weiter. Mittlerweile haben einige Siemens-Aktien sicher schon tausende Besitzer:innen gesehen).

Die Aktien werden also Investor:innen abgekauft - nicht dem Unternehmen. Das Unternehmen erhält bei diesem Kauf kein Geld, kein neues Kapital für ihr Unternehmen. Somit geschieht im ersten Schritt auch kein direkter Impact! 

Völlig sinnfrei ist nachhaltig investieren allerdings nicht - zwei indirekte positive Effekte gibt es: Das Unternehmen leiht Geld bei Gläubigern wie Banken, um sich zu finanzieren. Jetzt leihen Banken auch nicht jedem, der nett fragt, ihr Geld - erst Recht nicht zu gleichen Konditionen (Unternehmen müssen auch Zinsen auf ihre Kredite zahlen wie du auf deinen Hauskredit). Sie prüfen die Kreditwürdigkeit des Unternehmens. Dazu schauen sie sich an, wie gut das Unternehmen wirtschaftlich da steht. 

Wollen immer mehr Investor:innen die Aktie eines nachhaltigen Unternehmens kaufen (also die Nachfrage steigt) steigt in der Theorie der Aktienkurs des Unternehmens. Und ein hoher Aktienkurs sorgt für eine gute Kreditwürdigkeit des Unternehmens bei der Bank und somit dafür, dass das Unternehmen günstiger an Fremdkapital kommt. Wenn der Kurs hoch ist, kann das Unternehmen auch besonders gut neue Aktien ausgeben und damit Geld einsammeln. Allerdings gibt es damit immer mehr Eigentum und die damit einhergehende Entscheidungsgewalt an Investor:innen ab, was natürlich auch nur begrenzt geht.

ABER: Aktien sind das Anrecht auf zukünftige Gewinne. Und der Preis einer Aktie leitet sich aus den erwarteten zukünftigen Gewinnen ab, nicht anders herum. Wenn durch das Interesse, nachhaltige Unternehmen zu fördern, die Aktien nachhaltiger Unternehmen mehr, und die Aktien nachhaltiger Unternehmen weniger nachgefragt werden, verzerrt das den Markt und entkoppelt die Aktienpreise von den erwarteten Gewinnen: der Preis von Aktien nachhaltiger Unternehmen steigt, der Preis nicht nachhaltiger sinkt.

Rein wirtschaftlich sind dadurch erstere überbewertet und letztere unterbewertet. Eine Bewertungs-Blase entsteht. Konkret gesehen hat man das am MSCI Global Clean Energy ETF, in den sich 2020 die Anleger:innen unverhältnismäßig hineingesteigert haben, bin zur Marktkorrektur in 2021 - die Blase platzte, könnte man sagen.

Was macht jetzt ein(e) kluger Investor:in? Er/sie kauft unterbewertete Aktien und erfreut sich über die großen Gewinne in der Zukunft für einen geringeren Preis als er/sie bei jeder anderen Aktie hätte zahlen müssen. Aus diesem Grund gibt es inzwischen sogar schon sogenannte "sin stocks" und Fonds, die gezielt in solche unnachhaltige "Sünden-Titel" investieren.

Zusammengefasst: auch wenn viele Anleger:innen, ihr Geld aus dem Ölkonzern Shell herausziehen, wird Shell in Zukunft trotzdem noch die gleichen erwarteten Gewinne erzielen. Und genau aus diesem Grund, werden immer Menschen diese Aktie kaufen. Andererseits ziehen rein finanziell ausgerichtete Investoren auch ihr Geld aus zu überbewerteten Unternehmen heraus. Ein tatsächlicher, nachhaltiger Effekt entsteht z.B. laut Professor Josef Zechner von der Wirtschaftsuniversität Wien, wenn 60-70 % der Anleger koordiniert handeln würden. Aktuell sind es etwa 8 %...

Der gute Effekt vom Ansteig des Aktienpreises nachhaltiger Unternehmen wird also von einem Kontereffekt wieder relativiert - nicht gänzlich, aber sobald Unternehmen aus finanzieller Sicht deutlich falsch bewertet sind, machen sich Fonds die Mühe zu reagieren. Und spätestens im Private Equity-Bereich findet sich immer Käufer:innen, die sich über die hohen erwartbaren Gewinne zu geringem Preis freuen und damit wohl sogar verglichen zum nachhaltigen und ethischen Anleger eine Überrendite machen. Auch dazu lassen sich in der Forschung Nachweise finden z.B. von Prof. Hans-Peter Burghof (Uni Hohenheim) oder von Lucas Pastor (University of Chicago).

Das ist auch eine für mich ernüchternde Erkenntnis gewesen. Für mich leitet sich daraus nur eine logische Konsequenz ab: ich möchte keine Aktien aus zweiter Hand kaufen, sondern mein Kapital DIREKT nachhaltigen Unternehmen und Projekten zur Verfügung stellen. Und das ist möglich.

Willkommen beim Impact Investing oder "wirkungsorientiertem Investieren" (nicht zu verwechseln mit "Impact Fonds" nach Artikel 9 der neuen Offenlegungsverordnung! Auch die sind immer noch auf dem Sekundärkapitalmarkt unterwegs und von all den beschriebenen Aspekten betroffen).

Der einzige Impact, der Aktieninvestments bleibt, liegt im Engagement - also der Interaktion mit und der Beeinflussung von den Unternehmen durch den (nachhaltigen) Fondsmanager. Aber hier liegt das Problem, dass nur die großen Shareholder wirklich etwas zu sagen haben. Und das sind nicht die streng nachhaltigen Fonds mit einigen 100 mio. Euro Volumen, sondern zum Beispiel eben auch die großen ETF-Anbieter wie iShares und Vanguard. 

Und dieses Engagement wird oft auch gar nicht oder nicht gerade sehr intensiv betrieben. Denn dort, wo versucht wird, die Kosten des Anlageprodukts möglichst zu senken, um die an TER (Total-Expense-Ratio, die laufenden Kosten eines Fonds) im Bereich von 0,2 % gewohnten Anleger anzusprechen, muss logischerweise auch an der Intensivität des Engagements gespart werden. Wie streng dieses Engagement denn tatsächlich betrieben wird, schauen wir uns in einem der nächsten Blog-Artikel mal genauer an. 

Dein Niklas 

EDIT 3.4.23: Privatanleger:innen sollten vorsichtig sein mit Direktinvestments. Diese unterliegen oft weniger Verbraucherschutz und bergen teils Totalausfall-risiken. Nach knapp 2 Jahren weiterer Nachforschungen lege ich inzwischen großen Fokus auf das Thema Engagement, das ich hier im Artikel noch etwas abgetan habe. Meiner Meinung nach, sollten 80 % des Geldes von Privatanleger:innen an der Börse investiert sein und nur ergänzt werden von Direktinvestments. Im Fondsshop von unserer inzwischen gegründeten Beratungsfirma WertWende findest du unsere Muster-Anlagestrategien mit den in unseren Augen besten Fonds und ETF. Lass dich gerne für deine eigene Anlage inspirieren oder eröffne dort direkt ein Depot.

Wenn du eine weitere Perspektive auf dieses komplexe Thematik bekommen möchtest, kannst du auch beim Infoportal nachhaltig-investieren.com vorbeischauen. Dort geht der Herausgeber Kilian kritisch auf die verschiedenen Wirkmechanismen ein.